Zehn Meisterwerke im Madrider Prado
Auf der Madrider Museums Meile am Paseo del Prado trifft man im Umkreis von weniger als einem Kilometer auf eine unglaubliche Kunstdichte: Auf der linken Seite, direkt gegenüber vom Bahnhof Atocha (vom spanischen Stararchitekten Moneo vor ein paar Jahren umgebaut), befindet sich das Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia mit zeitgenössischer und moderner Kunst. Richtung Norden kommt ein paar hundert Meter weiter das Museo Thyssen-Bornemiza mit einer unglaublichen Sammlung, die der spanische Staat 1993 glücklicherweise erwerben konnte und das Kulturzentrum CaixaForum Madrid in einem eindrucksvollen Gebäude, das erst vor ein paar Jahren eröffnet wurde. Auf der anderen Seite sieht man zwischen alten Bäumen schon das Museo del Prado mit seinem großen Erweiterungsbau Richtung Retiro. Im letzten Jahr hat der Prado seinen 200. Geburtstag gefeiert. Selten auf der Welt gibt es so viel Kunst so nahe beieinander in so eindrucksvollen Gebäuden und mit so hochwertigen Ausstellungen.
Gemälde des Malers Tizian haben seinerzeit den Grundstein für die Sammlung gelegt. Dann kamen Schlag auf Schlag Bilder von Veronese, Tintoretto, später die Flamen mit Rubens, Van Dyck oder Bosch, Memling oder Van der Weyden. König Philipp II liebte die Flamen. Die ersten Franzosen in der Sammlung waren Nicolas Poussin und Claude Lorrain und natürlich die Renaissance-Italiener wie Fra Angelico oder Raffael. Nirgends auf der Welt gibt es so viele Goyas auf einmal: Die Capriccios, die Kartons, die schwarzen Bilder, die Kriegskatastrophen und all die großartigen Portraits und sonstigen Gemälde. Der Prado hat so viel davon, dass man eine Woche nur Goya widmen könnte. Überhaupt ist die Sammlung der spanischen Malerei einzigartig. Werke ab Ende des 19. Jahrhunderts sind die Gemälde in anderen Gebäuden untergebracht. Der Das Museum ist wie ein Spaziergang durch die spanische Geschichte.
Außer den Gemälden besitzt der Prado eine große Anzahl von Zeichnungen, Drucken, Münzen und sonstige Kunstgegenstände und über 700 Skulpturen. Einen zweite „Louvre“ wollte Ferdinand VII und fand 1818 die Räumlichkeiten dafür. Juan de Villanueva hat das Königliche Museum für Naturwissenschaften zwischen 1785 und 1808 erbaut. Ab 1818 wurde es als Kunstmuseum umgebaut und 1819 mit dem Namen Museo del Prado eröffnet. Während der Belagerung von Madrid durch die Franquisten 1936 wurden die Kunstwerke nach Valencia geschafft – zum Glück, denn der Prado wurde von der deutschen und italienischen Luftwaffe bombardiert.
Der Madrider Prado ist eines der bedeutendsten Museen weltweit und verzeichnet jährlich mehr als 3 Millionen Besucher – jedenfalls war das bis 2019 so. In Zeiten von Corona kommt die großartige virtuelle Präsenz des Museums gerade richtig: Stundenlang kann man sich durch die Galerien klicken, nach Künstlern getrennt, oder nach Themen, jedes Bild ist beschrieben mit bietet Hintergrundmaterial über Künstler und Epoche.
Über Meisterwerke kann man sich streiten oder seine persönlichen Favoriten haben. Die nachfolgend aufgeführten gehörten aber unbedingt dazu.
Es geht los in der Frührenaissance:
La Anunciación (Ankündigung) ist ein Meisterwerk von Fra Angelico (ca 1390 bis 1455). Es entstand um 1430 und misst 162,3 x 191,5 cm. Der ursprüngliche Buchmaler hat es für das Kloster Santo Domingo in Fiesole (Nähe Florenz) gemalt. In eine traditionelle Ikonographie setzt Fra Angelico zwei Szenen. Links Adam und Eva, sie wirken verschreckt, sind schon bekleidet und erfahren von dem Engel im Anflug, dass sie das Paradies in Kürze verlassen werden. Die Szene auf der rechten Seite zeigt den Erzengel Gabriel, der sich zur Ankündigung vor Maria niederkniet. Sie legt ihr Buch auf ihren Schoss. Die Empfängnis passiert über einen goldenden Wortstrahl durch die Taube von links oben nach rechts unten. Der Mönch (Fra) auch El Beato (der Selige) genannt malte ausschließlich christliche Ikonografie. Natürlich hat Giorgio Vasari auch ihm in seinen „Künstlerbiografien“ ein Kapitel gewidmet.
Roger van der Weyden (1400-1464) hat die „Die Kreuzabnahme“ für eine Kapelle im heute belgischen Leuven gemalt und es ist unzweifelhaft Van der Weydens Meisterwerk. Was wir sehen, ist der Mittelteil eines Triptychons, nicht signiert. Das Werke wurde deshalb erst später Van der Weyden zugeschrieben (um 1440). Der sehr gläubige König Philipp II ließ es 1564 in seine Privatkapelle in den El Pardo-Palast/Nähe Madrid bringen. Zwei Jahre später schon wurde es nach El Escorial geschickt, wo es bis 1939 blieb, um dann in den Prado zu kommen. Das Bild ist 204,5 x 261,5 cm groß, die Figuren haben fast Lebensgröße. Er malte hier den Moment der Kreuzabnahme. Christus trägt noch die Dornenkrone, die blutige Wunde auf seiner rechten Seite ist sichtbar. Ansonsten ist der Körper ziemlich unversehrt. Er liegt sehr elegant und unrealistisch mit leichtem Bartwuchs in den Armen von Nikodemus, das weiße Tuch um seine Hüften zeigt keine Blutflecken. Der Junge auf der Leiter hält noch die Nägel in der Hand. Die Person im goldenen Mantel, die seine Beine hält, ist wahrscheinlich Joseph von Arimathea. Ganz rechts die Frau ist Maria Magdalena. Links liegt halb zusammen gesunken die ohnmächtige und sehr blasse Mutter Gottes in Compassio. Halboffene Augen und schmerzliche Tränen im Gesicht wirkt sie wie eine Skulptur, die von Johannes dem Evangelisten und einer Frau in olivgrünem Mantel gestützt wird. Die Tränen der Frau ganz links im Bild, wahrscheinlich Maria Kleophas, sind transparente Perlen, die über ihre Lippen laufen. Das Kreuz ist nicht komplett zu sehen, sondern über dem Querbalken abgeschnitten. Jeder im Bild scheint nur mit sich beschäftigt, es gibt keinen Blickkontakt unter den Menschen im Bild. Die Konsistenz des Bildes ist unglaublich, man meint, es anfassen zu müssen.
Das famose Autoportrait von Albrecht Dürer(1471-1528) hat er, 26-jährig, im Jahre 1498 gemalt. Er präsentiert sich als feiner Mann in hellen Stoffen, aber ohne Luxus. Arrogant und ernst blickt er in die Welt. Blonde lange Locken fallen ihm auf die Schulter. Der Nürnberger war ein echter Vertreter der Renaissance mit allen hierfür nötigen Gaben ausgestattet: er war Maler, Mathematiker, Kunsttheoretiker, Kupferstecher und Humanist. Dürer ist viel herum gekommen, hat sich in Italien und Flandern weitergebildet und informiert. Im Dreiviertelportrait liegt das Hauptaugenmerk auf seinem Gesicht und auf den Händen, die in hellen Lammfellhandschuhen stecken, wie sie sich nur höher gestellte Leute leisten konnten. Rechts von ihm ein Fenster, das den Blick auf eine Landschaft frei gibt – sehr beliebt dieser Blickwinkel bei flämischen und italienischen Maler in dieser Zeit. Signiert ist es so: „Das malt ich nach meiner gestalt / Ich war sechs und zwenzig Jor alt“ – Albrecht Dürer“. Angeblich soll er sich in Antwerpen mit der Malaria angesteckt haben, an der er mit 57 Jahren verstarb.
Vor dem Bild „Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch (1450-1516) stehen die Prado-Besucher immer Schlange. Es ist eines der Renner im Museum und da es darauf so viel zu sehen und deuten gibt, verweilt jeder Besucher im Durchschnitt länger als vor anderen Werken. Ein Grund mehr, sich das Bild mal genauer zu Hause anzusehen. Es dürfte um 1490 entstanden sein. Die Spanier nennen dieses enigmatische Triptychon „El Jardín de las Delicias“. Auf der Außenseite, also zugeklappt, in Form einer Scheibe und in Grisaille, wird der dritte Tag der Schöpfung dargestellt, als sich das Wasser von der Erde trennte und das Paradies entstand. Nach dem Öffnen entfaltet sich eine umwerfende, symbolische Farben- und Bilderpracht. Die drei Tafeln zeigen auf der linken Seite einen friedliche Paradiesgarten mit Adam und Eva, rechts im Kontrast die dunkle bestrafende Hölle. In der Mitte, dem größten Teil, ein Pseudo-Paradies, das Lust und Sünde mit sich bringt und als Fortsetzung des Paradieses daher kommt, wie man im Hintergrund erkennen kann. „Seid fruchtbar und mehret Euch“ scheint das Hauptthema darauf zu sein. Was die Inquisition über dieses erotisch-sündige Sodom und Gomorrha dachte, wollen wir lieber nicht fragen. Unvorbereitet sollte man allerdings nicht vor dieses Bild treten, denn dann weiß man nichts damit anzufangen. Übrigens hat der Filmregisseur Fassbender im Epilog von Berlin Alexanderplatz dem Garten der Lüste einen Platz eingeräumt.
Tizian (1490 – 1576) ist mit einer großen Anzahl von fantastischen Bildern im Prado vertreten. Ohne Zweifel ist ein Meisterwerk das Portrait von Kaiser Karl V zu Pferd bei der Schlacht von Mühlberg (Tizian hat es 1548 gemalt). Es misst 332 x 279 cm und zeigt den stolzen Sieger nach der Schlacht. In voller Rüstung thront er auf dem geschmückten Pferd. Das venezianische Rot wiederholt sich dreimal. Obwohl seine Lanze stolz in der rechten Hand auf Angriffsbereitschaft hindeuten lässt, ist von der Schlacht nichts mehr zu sehen und triumphierend wirkt er auch nicht. Das mag daran liegen, dass das Bild ein Jahr nach dem Sieg der Schlacht, 1547, entstanden ist. Dort hat das kaiserliche Heer die Truppen des Schmalkaldischen Bundes besiegt und den Kurfürsten von Sachsen gefangen genommen. Bei den Verhandlungen in Augsburg im Jahr darauf konnte er aber trotzdem die Verbreitung des Luthertums nicht verhindern, der energische Widerstand der Kurfürsten war zu groß. Tizian hat ihm hier geschmeichelt und das „Habsburger Kinn“ weniger ausgeprägt gemalt, als es war. Der Kaiser wirkt auf dem Bild älter als nur knapp 50 Jahre, kein Wunder, sein Leben spielte sich zwischen Kriegen und auf Schlachten ab – ganz im Gegensatz zu seinem Sohn Felipe II, dessen weiteste Reise die Fahrt von Madrid ins 35 km entfernte El Escorial war. Während Felipe II sich dem Gebet hingab, verteidigte Karl V den Katholizismus an der Front. Wahrscheinlich litt er auch zu diesem Zeitpunkt schon an der Gicht. Der große Tizian war seit 1533 Hofmaler und wurde vom Kaiser in den Adelsstand erhoben. Wenn man dann schon mal in der Tizian-Ecke ist, unbedingt bei dem großartigen Bild„Danae und der Goldregen“ vorbeischauen. Tizian hat es um 1560 gemalt – nach seinem famosen Selbstportrait. Im Danae-Bild malt er den Moment malt, in dem Jupiter in Form von Goldregen auf Danae kommt. Übrigens hat es Velazquez 1635 nach Madrid gebracht.
Wieder 20 Jahre später, um 1580, malt Domenikos Theotekopoulos, genannt El Greco (1541-1614), „Den Edelmann mit der Hand auf der Brust“. Auch dieses Gemälde war ein Geschenk an den damaligen König Philipp V. Es handelt sich hier um eines der ersten Werke, die „El Greco“ (der Grieche, wie die Spanier ihn nannten) in Spanien malte. Über Venedig und Rom kam der El Greco nach Spanien, warum und wie weiß man nicht, aber angeblich sollte er bei der Mitgestaltung der neuen Residenz von König Philipp II El Escorial mitwirken. Seine Motive waren hauptsächlich religiös. Da er sich am spanischen Hof nicht durchsetzen konnte, ging er nach Toledo, wo er auch verstarb. Dort sind einige großartige Werke von ihm vor allem in Kirchen zu sehen wie „Das Begräbnis des Grafen von Orgaz“ . Es hängt in der Kirche Santo Tome und beschreibt die Umfänge und Ausmaße menschliche Daseins und den Tod.
Der Edelmann ist ganz in der strengen Mode des auslaufenden 16. Jahrhunderts gekleidet. Schwarzes Kleid auf grau-schwarzem Hintergrund. Der weiße Krauskragen beleuchtet sein schönes, ebenmäßiges und vornehmes Gesicht. Der schwarze Bart unterbricht die weiße, zerrupfte Spitze, die sich am rechten Ärmel der auf der Brust liegenden Hand wiederholt. In der linken Hand hält er einen Degen, von dem man aber nur den Griff sieht. Er ist golden und dieser Ton taucht schüchtern in Form eines Medaillons auf, das halb unter seinem Mantel hervor spitzt. Es gibt Theorien, dass es ein Selbstportrait sein könnte, andere haben auch schon Miguel de Cervantes dahinter vermutet oder den Kommandanten der Burg von Toledo, Marques de Montemayor, Juan de Silva y de Ribera. Der religiöse El Greco war für die künstlerische Nachwelt von enormer Bedeutung und wird immer wieder zitiert. Die manieristischen, langgezogenen Licht-Schatten-Konstruktionen in seinen Werken, verraten ihn sofort als Erschaffer und ziehen in jedem Saal unsere Blicke auf sie.
El Greco wäre jetzt sicher geschockt, vor Rubens und den „Die Drei Grazien“ zu stehen. Denn gegensätzlicher können zwei Gemälde nicht sein. Peter Paul Rubens (1577-1640) in Deutschland geboren, in Antwerpen verstorben, ist als Maler und Diplomat viel herum gekommen. Das Grazien-Thema hat er immer wieder aufgenommen. Musen waren sein tägliches Brot und außerdem die einzige Möglichkeit, unbekleidete Frauenkörper zu malen. Eine der drei Abgebildeten ist seine junge Frau Helena Fourment. Die drei Grazien versinnbildlichen Sensualität, Vitalität und Freude und sind Jupiters Töchter Aglaia die Glänzende, Euphrosine die Lustige und Talía die Freude. Dieses Rubens-Spätwerk entstand um 1635, es war kein Auftragswerk, misst 182 x 220 cm und ist auf Holz gemalt. Rubens hat sich immer wieder bei der griechischen Mythologie bedient.
Jusepe de Ribera (1591-1652) auch genannt Lo Spagnolettto (der kleine Spanier) ist in Valencia geboren und machte später eine bedeutende Karriere in Neapel. Jakobs Traum entstand 1639. In der Genesis ist der Patriarch Jakob eine Art Held. Auf der Flucht vor dem eifersüchtigen Bruder Esau und gewarnt von seiner Mutter, verlässt er seine Heimat. Auf seinen rechten Arm gestützt schläft hier ein Hirte und träumt, ob von der Himmelsleiter oder von den zukünftigen gesprenkelten Schafherden weiß man nicht. Hier beweist Ribera wieder ein Talent, mit einem Farben- und Lichtspiel Geschichten erzählen zu lassen, die im Kopf passieren. Später in Neapel hat er oft religiöse Personen gemalt, denen man immer ihr hartes Leben ansieht.
Ein „must“ im Prado ist natürlich bei Besuch bei Francisco Goya y Lucientes, (1746-1828). Das Bild „El 3 de mayo en Madrid: Los fusilamientos de patriotas madrileños” (Der 3.Mai in Madrid: Die Erschießung der madrilenischen Patrioten) entstand 1814. Das Gemälde ist 3,45 x 2,66 Meter groß. Goya malt hier wieder spanische Geschichte im Jahre 1808. Napoleon I hat gerade Spanien und das Königshaus eingenommen. Am 2. Mai versuchte die spanische Bevölkerung die Anreise des Bruders von König Fernando VII zu verhindern, was in einen harten Kampf ausartete und mit Rache gegenüber dem aufrührerischen Volk endete. Jeder Spanier, der mit einen Langwaffe aufgegriffen wurde, durfte umgehend getötet werden. Es sollen in der Nacht vom 2. auf den 3. Mai an die 45 Aufständische auf dem Hügel von Principe Pio erschossen worden sein. Und diese Erschießung hat Goya gemalt, der damals 62 jährige hat angeblich aus der Ferne zugesehen und anschließend gleich Skizzen vor Ort gemacht. Bewiesen ist dies aber nicht. Es hat auch sechs Jahre gedauert, bis das Bild fertig war. Starke Kontraste und eine beeindruckende Regie zeichnen das Gemälde aus. Das weiße Hemd des zu Erschießenden leuchtet, seine Arme sind wie bei einem Christus am Kreuz ausgestreckt. Man kann sogar Wundmale entdecken. Dieser Erschossene wird hier ganz klar zum Märtyrer. Das französische Erschießungskommando bildet mit Schultern und Mänteln eine Mauer. Nach Goya haben sich auch andere Maler mit so einem Bildaufbau befasst.
Man muss ein wenig herumlaufen, um Goyas Werke zu sehen, sie sind nicht alle im selben Raum. Aber die beiden Mayas (die nackte und angezogene, oder das Portrait der Contessa de Chinchón) sowie ein paar Caprichos sollte man schon mitnehmen.
Viel Spaß auf dieser Stippvisite!
Christa Blenk