Eugène Delacroix (1798-1863) war ein attraktiver Mann. Groß, schmal, volles Haar und dunkle Augen. Er war geistreich und zuvorkommend und leicht kränkelnd, wie es sich für einen Romantiker gehörte. Ein Dandy zwischen Himmel und Hölle, der schöne Kleider und Luxus liebte und der überzeugt davon war, dass nur ein gut situierter Künstler ein guter Künstler sein konnte.
Das großformatige Bild Die Dantebarke sollte dem ziemlich verschuldeten Delacroix eine Italienreise finanzieren, da er 1820 den erhofften Prix de Rome nicht erhalten hatte. Der nervöse, provokative Pinsel dieses jungen, noch recht unbekannten Malers, irritierte das Publikum. Auch wenn sein Genie vereinzelt erkannt wurde, musste er doch viel Kritik einstecken. Man riet ihm sogar, endlich vernünftigen Malunterricht zu nehmen. Die Mitglieder des Pariser Salons beschimpften ihn als vulgär und empörten sich über diese Kleckserei. Vielleicht fing ihnen das Bild zu schonungslos die mutlose und unentschlossene Stimmung im Lande ein. Aber schließlich kaufte ihm Graf August de Forbin das Gemälde für 2000 Franc für das Pariser Musée du Luxembourg ab.
Die beiden Dichter Dante Alighieri und Vergil stehen erwartungsvoll und ungeduldig in der Barke des Fährmannes Phlegias. Er soll sie über den unwirtlichen Styx, zur Stadt Dis bringen, die im Hintergrund links vor sich hin lodert. Die Feuerfarben züngeln fast bis zur Mitte des nächtlichen, turbulent-romantischen Himmels. Dante, der allerdings in die andere Richtung blickt, trägt einen roten Camauro, einen blauen Mantel und ein hellgraues Unterkleid. Irgendetwas scheint ihn zu blenden oder zu erschrecken, denn er schützt seine Augen mit dem erhobenen, rechten Arm während seine linke Hand nervös die von Vergil sucht. Vielleicht will er aber einfach noch nicht sehen, was da auf ihn und seinen Begleiter, der eine braune, römische Tunika trägt, zukommt. Vergil steht hinter Dante und trägt den für ihn typischen Lorbeerkranz auf dem Kopf. Sein weißes Halstuch und ein weißer Streifen an Dantes rechten Arm beleuchten die obere Szene. Das blaue Tuch, mit dem der Fährmann seine Nacktheit ein wenig bedeckt, nimmt den Farbton von Dantes Mantel auf und reflektiert sich im Wasser und auch am Himmel dahinter. Die Überfahrt ist unruhig, es stürmt, das Boot wackelt gefährlich und liegt ziemlich tief im Wasser. Die Versuche der nackten, weißen, muskulösen Sünder im Wasser, die sich ins Boot retten wollen, verstärken die Sensation der Instabilität. Ein Verdammter beißt sich gar am Heck fest. Ein anderer hat es geschafft, ein Bein ins Boot zu hieven, aber sein Körper scheint unter Wasser zu sein. Wem genau die Gliedmaßen alle gehören, kann man gar nicht erkennen. Barock-manieristisch kommt das Bild daher, die Lichtquellen sind die weißen, nackten verzweifelten Körper im Wasser. Delacroix‘ mutige Farbexperimente erzeugen eine bedrohliche Anspannung, bringen den stürmischen Styx zum Rauschen, das wütende Höllenfeuer zum Glühen und verbreiten die Klagerufe der armen Sünder von einem Ufer zum anderen.
Mit seinem Jugendwerk Die Dantebarke nimmt der Künstler 1822 eine Szene aus Dantes Göttlicher Komödie auf. Das Bild misst 189 x 241 cm und hängt im Pariser Louvre. Berühmt wird Delacroix vor allem durch Gemälde wie „Die Freiheit führt das Volks an“ (1830), „Die Frauen von Algier“ (1834) oder „Jakobs Kampf mit dem Engel“ (1858). Eines seiner besten Portraits hat er 1838 von seinem Freund Frédéric Chopin gemalt. Ursprünglich als Doppelportrait mit George Sand konzipiert, wurde es 1873 – schon nach Delacroix Tod – geteilt.
Delacroix‘ großformatige Gemälde sind Geschichten, historische Spektakel, sie sind ganz großes Theater, für das er sich spätestens nach der Lektüre von Lord Byrons Gedichten immer mehr interessieren wird. Für Delacroix hat die Farbe vor allem Licht wieder zu geben während der Schatten dessen farbige Reflexion ist.
Eugène Delacroix‘ Meister waren Goya, Rubens und Veronese. Constables natürlich-frische Malerei animierte ihn zu einem London-Aufenthalt. Später bereiste er Südspanien und Nordafrika. Bei der Dantebarke hat er sich am Thema und am pyramidenhaften Aufbau von Géricaults Floß der Medusa inspiriert. Der junge Delacroix hat ihm dafür Modell gestanden. Bei Géricault geht es um den bitteren Untergang der Menschheit, um Schande und um den Verlust der Würde, während Dante und Vergil die Hölle überstehen werden, obwohl sie die Armen im Fluss ignorieren. Delacroix‘ Fährmann ist eine Hommage an die Antike. Er gibt ihm die Form des Torso von Belvedere, der durch die Hände von Goyas Koloss ging.
Der Künstler hatte genug Selbstbewusstsein, um sich über die Kritik hinwegzusetzen und seinen genialen Farbensinn auszuleben. Delacroix, der aus einer Diplomatenfamilie stammte, war einer der Hauptväter der Impressionisten und der Moderne. Von Feuerbach bis Cezanne haben sie alle von ihm gelernt. Der Spätromantiker Delacroix ist 65-jährig an einem chronischen Halsleiden in Paris verstorben.
Christa Blenk