Gerardo Aparicio (Das Wörterbuch des Tyrannen)
The death of Klinghoffer ist John Adams (*1947) zweite Oper. Wie auch schon bei seinem ersten Werk « Nixon in China » hat er hier wieder ein aktuelles (politisches) Thema aufgegriffen.
Das eher poetische Libretto von Alice Goodman lässt an das Alte Testament oder an den Koran denken – Goodman kannte beides. Hin und wieder wird es romantisch und erscheint etwas weltfremd. Adams und sie wollten aber eben keine Position einnehmen und nur eine Begebenheit dokumentieren. „Die Träume und Sorgen nicht nur der Israelis, sondern auch des palästinensischen Volkes werden in dem Werk gewürdigt, das in keiner Weise Gewalt, Terrorismus oder Antisemitismus akzeptiert oder fördert.“ (Adams in einem Interview)
John Adams lässt in seinem Werk beide Seiten zu Wort kommen, er teilt die Zeit, in der sich die beiden Lager präsentieren und rechtfertigen, gerecht auf. Die Choreinlagen der je exilierten Palästinenser und Juden sind gleich lang. Der Zuhörer spürt das, ohne die Zeit zu stoppen. Aufgebaut ist das ganze als große Kantate im Erzählmodus. Manchmal sind es Interviews, die der Kapitän oder Passagiere nach der Rettung der Presse geben dann wieder persönliche Schicksale, Ermahnungen, gute Ratschläge oder Angstdemonstrationen. Adams selber hat an die Passionen von Bach gedacht.
Erzählt wird eine wahre Begebenheit. 1985 übernahmen palästinensische Terroristen das italienische Kreuzfahrtschiff Achille Lauro. Der amerikanische querschnittgelähmte Jude Leon Klinghoffer wird von ihnen getötet und samt Rollstuhl ins Meer geworfen. Nach langen Verhandlungen lassen die Terroristen unter der Bedingung, dass sie ebenfalls frei gelassen werden, die Geiseln gehen.
Als Zuschauer wird man permanent hin- und hergerissen zwischen Sympathien und Antipathien allen (Palästinenser, Juden, Kapitän, Passagiere) Parteien gegenüber.
Seit der Welturaufführung 1991 in Brüssel gab es bis jetzt bei jeder Aufführung Demonstrationen der Jewish Information League. Seit der Erstaufführung in den 90er Jahren wurde die Oper in den USA über 20 Jahre nicht mehr aufgeführt. 2003 entstand die Version, die wir gehört haben, für das Fernsehen. Letztes Jahr stand es auf dem Programm der Met. Die geplante Kinoübertragung aus der Metropolitan Oper New York hingegen wurde wieder annulliert.
Zum Werk: Es beginnt mit einem Film über die Vertreibung der Palästinenser 1948 durch die aus dem zerstören Westen ankommenden Juden. Ein kleines Mädchen wird von ihrem Onkel gerade noch gerettet, später erfahren wir, dass sie die Mutter einer der Terroristen sein wird. Dann schwenkt die Kamera und wir machen einen Zeitsprung nach 1985, als die glücklichen und vor Vorfreunde strahlenden Passagiere das Schiff Achille Lauro in Genua besteigen. Unter ihnen auch der Mann (wir erkennen ihn an den Striemen auf dem Rücken, die ihm offensichtlich die Nazis zugefügt hatten), der von dem kleinen palästinensischen Mädchen gebissen wurde, bevor der Onkel sie in Sicherheit brachte. Er trägt eine Kippa und ist in Begleitung seiner Frau, sie auf der Todesliste die nächste gewesen wäre, hätte der Kapitän es nicht geschafft, die Terroristen zu überreden, niemanden mehr zu töten.
Der Prolog besteht aus zwei Chören der jeweils exilierten Palästinenser und Juden, die von der Vertreibung erzählen. Griechisches Theater pur. Im ersten Bild des ersten Aktes lässt Adams zuerst den Kapitän zu Wort kommen. Später sieht man, wie die meisten der Passagiere in Alessandria an Land gehen. Die Geschichte wird von den an Bord Verbliebenen erzählt, während die Musik jede Stimmung begleitet und sehr aufgeregt wird, als der Erste Offizier zu Wort kommt. Anschließend meldet sich der erste Terrorist Molqi zu Wort und eine Schweizerin erzählt, warum sie mit ihrem Enkel an Bord geblieben war. Mamoud besingt seine Bereitschaft zu sterben und der Kapitän bestellt Sandwiches.
Cesar Borja (Hommage à Sir Francis Richard Burton)
Im zweiten Bild des ersten Aktes schließen der Kapitän und der jüngste und sensibelste Entführer fast so etwas wie Freundschaft und erzählen sich aus ihrem Leben. Die Terroristen werben für ihre Tat und bestätigen immer wieder, dass sie gute Menschen seien. Mamoud erzählt von seiner ersten Spielzeugpistole. Plötzlich mischt sich eine andere Passagierin, die sich im Bad eingeschlossen hatte, ein und spricht von ihrer Angst und von der Schokolade aus Griechenland, die sie sich nun einteilen müsse. Der erste Akt endet mit dem Nachtchor. Klinghoffer ist bis jetzt noch nicht so richtig in Erscheinung getreten, obwohl die Oper seinen Namen trägt.
Das erste Bild im zweiten Akt beginnt mit den Fernsehnachrichten. Ein Sprecher berichtet über die Tat und erzählt dann etwas ironisch die Geschichte aus dem Alten Testament von Abraham, Sara und Hagar und den Kindern Ismael und Isaak. Mittlerweile ich die Achille Lauro an der syrischen Küste angekommen und wartet auf Erlaubnis, einlaufen zu dürfen. Das Ultimatum läuft. Und während die Entführer im ersten Akt noch eher umgänglich waren, drohen sie nun, alle zu töten. Die Kidnapper sind sich nicht mehr einig, wie weit sie gehen wollen. Nun übernimmt Klinghoffer die Hauptrolle. Er verbleibt allein im unteren Deck, wird erniedrigt und bedroht, tröstet aber noch seine Frau, die kurz zu ihm darf: „Ich hätte einen Hut aufsetzten sollen“ singt er zweimal leicht verzweifelt und vom Thema ablenkend! Seine Frau muss gehen. Zwischendurch wieder ein Interview mit einer jüngeren Passagierin, das ein Stockholm Syndrom andeutet, wenn sie vom gutaussehenden Omar spricht. Dann sehen wir, wie er, Omar – zuhause in Palästina -, mit seinen Freunden seine Freundin steinigt und ihr dann Säure ins Gesicht schüttet, weil sie es wagte, ohne Kopfbedeckung aus dem Haus zu gehen. Ein klagender Frauenchor begleitet diese Szene. Im zweiten Bild singt schließlich Mrs. Klinghoffer von ihrer Krankheit während ihr Mann erschossen und ins Meer geworfen wird, ohne dass die anderen Passagiere oder seine Frau etwas davon erfahren. Im Film wird diese Szene sehr dramatisch ausgeführt, er fällt ganz langsam – wie bei einem Video von Bruce Naumann – ins Wasser und der Rollstuhl hinterher. Der Tagchor löst diese Szene ab. Im 3. Bild muss der Kapitän Frau Klinghoffer über den Tod ihres Mannes informieren, worauf sie mit Verachtung und Zorn ihm gegenüber reagiert und dem Bedauern, dass nicht sie getötet worden sei.
Klinghoffers Töchter distanzieren sich auf das Heftigste von dem Werk.
Musikalisch ist es – wie immer bei Adams – ein sehr hörbares Stück, keine zeitgenössischen Experimente, aber viel Dramatik in der Musik und in den Choreinlagen.
Ursprünglich gedacht und arrangiert als Theaterstück von Peter Sellars, der fast permanent mit John Adams arbeitet. Penny Woolcock überarbeitete die Filmfassung. Die Rückblenden der Protagonisten und die Live-Aufnahmen am Mittelmeer geben dem Ganzen eine dokumentenhaften Realität. John Adams selber dirigierte das London Symphony Orchestra. Sie Sänger waren sehr gut ausgesucht, zumal sie ja auch schauspielern mussten. Sanford Sylvan singt Klinghoffer, Christopher Maltman ein sehr überzeugender Kapitän. Yvonne Howard ist Marilyn Klinghoffer. Tom Randle, Kamel Boutros, Leigh Melrose und Emil Marwa singen Molqi, Mamoud, Rambo und Omar. Sehr berührend und gelungen!
Christa Blenk