Konstantin der Große wurde 306 von seinen Soldaten zum Kaiser ausgerufen; nur 18 Jahre später wurde im Jahre 324 das Christentum durch die konstantinische Wende zur wichtigsten Religion im Römischen Reich.
In Rom gab es zu diesem Zeitpunkt 1352 Quellen, 19 Aquädukte, 39 Stadttore, 9 Brücken, 12 Basiliken, 45 Triumpfbögen aus Marmor, 28 Bibliotheken (für alle geöffnet), 2 Amphitheater, 5 Zirkusarenen, 200 Tempel, 22 Kasernen, 144 öffentliche Latrinen, 46 offizielle Lupanare, 3000 Statuen (ohne die Skulpturen zu erwähnen), davon 22 vergoldete, Reiterstandbilder (Quelle: Gilles Chaillet – Das Rom der Kaiserzeit). Die ewige Stadt erstreckte sich auf 2000 Hektar und hatte ca 1 Million Einwohner, die in 1790 Villen (domus) und 46602 Mietshäusern (insulae) lebten – ein mehrstöckiger, ziemlich gut erhaltener Wohnblock liegt übrigens genau am Aufgang zum Kapitol. Unzählige Beamte, darunter Freigelassene und Sklaven, waren mit der Verwaltung der Hauptstadt beschäftigt, die in 14 große Regionen unterteilt war.
“We would rather be ruined than changed – We would rather die in our dread – Than climb the cross of the moment – And let our illusions die.” (WH Auden, The Age of Anxiety)
1947 hat W.H. Auden sein genial-schönes Gedicht « The Age of Anxiety » veröffentlicht. Es passt so gut auf die Zeit zwischen dem Paganismus und dem Christianismus und den damit verbundenen Untergang des Römischen Reichs übertragen; die Kuratoren der Ausstellung haben sich Audens Titel „Das Zeitalter der Angst“ für diese Ausstellung, die zur Zeit in den Kapitolinischen Museen gezeigt wird, geborgt.
Die römische Ausstellung hört da auf wo Konstantin anfängt und beschreibt das erste Kapitel des Untergangs, die Zeit der Gegen- und Soldatenkaiser. Das Jahr 180 nC war das Todesjahr des letzten (Adoptiv)-Kaisers Marc Aurelio. Mit seinem Tod vergingen ebenso Civitas, Stabilität und Wohlstand und schleichend und gemein installierten sich die ersten Symptome, die knapp 200 Jahre später den Untergang des römischen Reiches herbeiführen sollten.
Das Christentum stand unwiderruflich vor der Tür und ein Wandel war auf lange Sicht nicht mehr abzuwenden. Die Kaiser waren längst keine Adeligen mehr sondern kamen irgendwo aus der Provinz und die Führungsschicht hatte nur noch einen Gedanken: den erreichten Wohlstand zu beschützen und zu verteidigen. Die Armen wurden immer ärmer, die Soldaten waren gekaufte Legionäre, nicht mehr als Kanonenfutter, der Limes, die afrikanischen oder die gallischen Provinzen gingen nach und nach verloren, die (Theater)-Kultur verschwand gänzlich so auch das know how der römischen Baumeister und Künstler. Leere und Pfusch nehmen den Platz von Schönheit und Perfektion der Antike ein. Epidemien, begleitet von materieller und sozialer Unsicherheit breiteten sich aus, Entbehrung und Knappheit regierte und die Menschen setzten sich allmählich in Bewegung, entweder auf der Flucht oder auf der Suche nach den neuen Religionen, die aus dem Boden schossen. Der Verwesungsprozess hatte eingesetzt.
Wieso kommt uns das so bekannt vor?
Erst in der Renaissance sollte die Expertise und das künstlerische Geschick zurückkommen und Michelangelo würde Statuen schaffen, die es mit denen der Römer oder Griechen allemal aufnehmen können.
Das Zepter übernahm also Marc Aurels legitimer Sohn Commodus und nannte sich in der Folge Imperator Caesar Marcus Aurelius Commodus Antoninus Augustus, dem er später noch den Siegesnamen Germanicus Maximus hinzufügte (sein Vater Marc Aurel starb 180 an der Donau). Beliebt beim römischen Volk, verhasst beim Adel, führte er ganz populistisch panem et circenses wieder ein und suchte die belasteten Staatsfinanzen seines Vaters zu verbessern was sein Verhältnis zu den Senatoren belastete, vor allem auch weil er wichtige Aufgaben eher Männern aus dem Volk oder Freigelassenen und keinen Senatoren mehr übertrug. Aufwendige Wagenrennen und Gladiatorenkämpfe, sollen sein Hobby gewesen sein und Herkules sein Idol. Seine 13 Jahre dauernde Herrschaft war geprägt von Aufruhr, Putsch, Attentaten, Misstrauen und
Sein verspielter Größenwahn ging so weit, dass er alle Monate des Jahres nach seinen Ehrennahmen umbenennen ließ, seine carruca (Reisewagen) soll sogar mit einem Drehstuhl ausgestattet gewesen sein, damit er auf seinen Reisen die Landschaft besser betrachten konnte.
Denn gereist wurde viel in dieser Zeit. Viele der Kaiser oder Soldatenkaiser kamen nicht aus Rom sondern aus den Provinzen. So wurde z.B. das 1000-jährige Bestehen des Römischen Reiches im Jahre 247 von Philippus Arabs organisiert und gefeiert. Er kam aus Syrien und konnte sich immerhin 5 Jahre an der Macht halten. Maximinus Thrax kam aus Thrakien, Caracalla wurde in Frankreich geboren und ist in Mesopotamien verstorben. Probus kam vom Balkan und Diokletian aus Dalmatien.
192 wurde Commodus von dem Athleten Narcissus erwürgt.
Gegenkaiser – Mitkaiser – Soldatenkaiser
Commodus hatte keinen Nachfolger bestimmt, ein Zustand, der direkt zum sog. Vierkaiserjahr führte: Pertinax und Didius Julianus fielen nach kurzer Zeit an der Macht Mordanschlägen zum Opfer, Septimus Severus erstellte dafür einen neuen Rekord und konnte sich acht Jahre an der Spitze dieses wackelnden und von Krisen erschütterten Imperiums halten. Das Durcheinander war unglaublich, kaum hatte man den Namen eines neuen Kaisers gelernt, wurde er auch schon wieder um die Ecke gebracht. Es kamen Caracalla, Macrinus, Elagabalus, Severus Alexander und 235 der erste Soldatenkaiser mit dem Namen Maximinus Thrak. Dieser machte seine Ignoranz (angeblich konnte er nicht mal lesen) mit Körperkraft wett und war laut der nicht unbedingt zuverlässigen und mit Anekdoten gespickten Historia Augusta ein Riese, stark wie Herkules glich er eher einer Figur aus der griechischen Mythologie, ein wilder Kerl ohne Angst, ein unsterblicher Draufgänger, ein Rambo oder ein Terminator. Wenn der Werteverfall nicht mehr mit Intelligenz abzuwehren war, vielleicht tat es ja das Schmalz in den Armen. Maximinus Thrak überlebte immerhin 3 Jahre und leite 238 das Fünfkaiserjahr ein. Ob er wirklich Tuffstein zerbröckeln konnte, wollen wir mal dahingestellt lassen. Zwischen Gordian III, der ihn ablöste und Diokletian, der ab 285 schließlich den Spieß wieder umdrehte und Rom erneut zu Frieden und Wohlstand führte, gab es immerhin 16 Kaiser, die im Durchschnitt 2-4 Jahre walteten. (Ende des 16. Jahrhunderts gab es einen ähnlichen Zustand unter den permanent wechselnden Päpsten).
« Luxus ist ein süßes Gift, das man viel leichter anklagen als vermeiden kann » sagte Valerius Maximus.
Lifestyle, Kriegsmaschinerie, religiöse sowie pagane Kulte und Begräbnisriten sowie Kleidung und Mode oder Gebrauchsgegenstände, die diese nervöse und unruhige Epoche voller Angst und Unsicherheit begleiteten, werden anhand von zahlreichen Portraits von Herrschern, Frauen, Kindern, Göttern, Skulpturengruppen, Gefäßen, Gräbern dokumentiert.
Hier posieren sie, direkt vor den bezaubernden Fresken, die von der Rom-Gründung, vom Kampf der Horatier und Curatier oder vom Raub der Sabinerinnen erzählen. Marc Aurel, flankiert von seinem Sohn Commodus als Herkules (die Tatsache, dass Herkules permanent als deus ex macchina herhalten musste, spricht Bände). Die Reihe wird fortgesetzt mit Marmorbüsten von Caracalla als Kind, als Erwachsener, mit Militärumhang weiter dem Soldatenkaiser Elagabalo mit brutaler Lippe oder Abbilder von sensiblen Fast-Kindern im Kaiserkleid. An ihren Gesichtern kann man die Schwäche oder die Dummheit, aber auch die Aggressivität, Bestimmung oder die Haarmode ablesen.
Herausstechend eine nur 35 cm große Statue eines dicklich-feisten Attis (eine Leihgabe aus Trier), mit aufgeschlitztem Gewand und erhobener Hand, in der man das Messer vermutet, das gerade für seine eigene Entmannung verantwortlich war. Skulpturen, die die Transition vom Paganismus oder vom Polytheismus zum Christianismus beleuchten oder mannigfaltig auftauchenden Religionskulte, die hier alle zum Konkurrenzkampf antraten wie Isis, Osiris, Cibele, Mithra oder Halbgötter wie Herkules und Dionisos. Eine umwerfende 255 cm große Bronzestatue des Treboniano Gallo aus dem MET New York, auffallend aufschlussreich der viel zu kleine Kopf auf dem enormen Körper. Außergewöhnlich auch die fast zwei Meter hohe Marmor-Skulpturengruppe „Artemis und Iphigenie“. Artemis, stark und groß, mit der Hirschkuh an ihrer Rechten und Iphigenie zu ihren Füßen – diese Gruppe ist in den Kapitolinischen Museen zuhause, wie ein Großteil der Exponate übrigens. Allerdings ist es doch sehr spannend, sie so thematisch gebündelt zu sehen.
Der erste und einer der faszinierendsten Romane des römischen in Algerien geborenen Schriftstellers und Philosophen Apuleius „Der Goldene Esel“ ist um 170 entstanden. In der Ich-Form geschrieben, vermittelt er dem Lektor das unglaubliche religiöse und sonstige Chaos und den Überlebenskampf der Bewohner. Die Beschreibung einer paganen Prozession ist genial, greifbar und hörbar. Apuleius selber ist sehr viel gereist, hat einiges erlebt und sehr intelligent die Stimmungen und den Wandel im römischen Reich eingefangen.
Dank der energischen Maßnahmen von Diokletian herrschte im Jahre 285 wieder Frieden im Reich und die depressive Epoche, um die es in dieser Ausstellung geht, sah unter eben diesem Kaiser wieder das Licht am Ende des Tunnels. Es entstand der letzte große beeindruckende Bau in Rom: der Bogen des Konstantin! Das Blatt wendete sich endgültig, als die Regierung im vierten Jahrhundert an den Bosporus umsiedelte, wo Konstantin die Stadt Konstantinopel gründete. Die alte Hauptstadt und bis dahin caput mundi sollte in Zukunft den bald sich dort ansiedelnden Päpsten gehören und Rom fiel in das finstere und untalentierte Mittelalter, was konform mit dem Verlust des know how ging, das die glänzenden und faszinierenden Gebäude und Aquädukte wie z.B. das Pantheon entstehen ließ.
Auf dem Weg durch die Ausstellung kommt man immer wieder an Gegenständen vorbei, die nicht zur Ausstellung gehören aber einfach dazu passen, wie das Reiterstandbild des Marc Aurel oder Konstantins verschiedene Körperteile im Mega-Format: Kopf, Fuß und Hand sind voneinander getrennt – zerrissen, wie die Zeit zwischen Orient und Occident!
L’età dell’angoscia – da Commodo a Diocleziano 180 – 305 d.C. ist der vierte Teil einer Ausstellungsserie unter dem Oberbegriff „Die Tage Roms“. Der Katalog ist sehr ausführlich und kostet 39 Euro. Die Ausstellung wird noch bis zum 4. Oktober 2015 in den Kapitolinischen Museen in Rom gezeigt.
Christa Blenk